Leben im Technotop - Technosophie

Peter oder: Gibt es eine Pflicht zu Wissen?

Ein sokratischer Dialog über die ethischen Probleme der Technikfolgenabschätzung

Peter:

Guten Tag, werter Sokrates! Wie kommt es, daß uns unsere Wege hier draußen, auf dem Campus kreuzen? Ist es nicht so, daß Du es sonst vielmehr vorzuziehen pflegst, unten in der Stadt zu bleiben – sei es aus Liebe zu dieser oder auch der Jugend wegen, die sich dort, wie man sagt, viel mehr in den Dingen des Geistes und der schönen Rede bildet, als wir Wissenschaftler hier oben.

Sokrates:

O, liebster Peter, Ihr seid zu beneiden um die Ruhe und Abgeschiedenheit, die Euch dieser Platz gegenüber dem Lärm und den zahlreichen Ablenkungen in der Stadt bietet. Ihr habt die Möglichkeit, für Euch allein zu arbeiten und gar wunderbare Dinge zu vollbringen. Allein ich, der so etwas nicht zu erreichen vermag, ziehe die Geschäftigkeit der Stadt, wegen der vielen Vorteile und Annehmlichkeiten, die sie einem Mann wie mir bietet, vor. Heute jedoch war ich hier, um den großen Stahio-Keri reden zu hören.

Peter:

Mir scheint, ich muß gestehen, daß mir dieser Redner noch nicht bekannt ist. Worüber, o Sokrates, hat er denn, wenn man fragen darf, so weise gesprochen?

Sokrates:

Mich erstaunt, von Deiner Unkenntnis zu hören; hatte ich Dich doch zu jenem Vortrag erwartet, da mich dünkte, daß Dich das Thema sehr interessieren sollte. Der gute Mann sprach über die Tugenden in der angewandten Kunst.

Peter:

Technik meinst Du wohl?

Sokrates:

Ja, so sagt man auch.

Peter:

Wozu wohl bedarf es dieser Tugenden in den technischen Wissenschaften? Ist es nicht vielmehr so, daß wir uns bei allem Erforschen bemühen, die Wahrheit zu entdecken? Diese Wahrheit kann doch wohl kaum davon abhängen, welche ethischen Vorschriften wir uns machen. Selbst Du bestehst immer darauf, daß das Wahre, Gute, Schöne, Gerechte oder wie auch immer Du zu formulieren gedenkst, unabhängig von uns existiert und von uns richtig erkannt werden muß.
Daher glaube ich nicht, daß ich mir dieses überflüssige Reden über inhaltsleere Tugenden hätte anhören sollen. Ich habe auch wichtigere Dinge zu tun, als nur belanglose Diskussionen zu führen.

Sokrates:

O, ich glaube gerne, daß Du, der solch wundervolle und überaus nützliche Geräte konstruiert, wenig Zeit für diese langwierigen, metaphysischen Gespräche hast, die Dir bei Deinen Aufgaben nie weiterhelfen. Doch sage mir bitte Eines, ist Deine Arbeit nicht – allgemein gesprochen – ein Handeln?

Peter:

Aber natürlich doch! Ich sitze hier nicht faul herum, wie vielleicht jene, die immerfort nur schöne Bücher lesen.

Sokrates:

Gut, aber wenn Du nun handelst, dann willst Du doch sicher auch richtig handeln.

Peter:

Aber selbstverständlich!

Sokrates:

Wenn man aber richtig handelt, bedeutet dies nicht auch gut zu handeln?

Peter:

Wenn Du es so sagst, wohl ja.

Sokrates:

Um nun gut zu handeln, wirst Du wohl alle Deine Vorhaben beurteilen wollen, nämlich in Hinsicht darauf, ob sie zu guten oder schlechten Entscheidungen führen.

Peter:

Das ist wohl so.

Sokrates:

Um etwas zu beurteilen, brauchst Du eine Entscheidungshilfe, einen Maßstab.

Peter:

Du meinst eine Vorschrift?

Sokrates:

Ja, sehr wohl gesprochen! Und wie würdest Du diese Vorschrift nennen, die Dich zu guten Entscheidungen anleitet? Wäre das nicht ein moralisches Gesetz oder ein ethisches Prinzip?

Peter:

So scheint es nun.

Sokrates:

Wir haben also nach Deinen Worten gesehen, daß technisches Handeln von ethischen Prinzipien geleitet werden muß.

Peter:

Ach Sokrates, Du hast es wieder einmal sehr geschickt verstanden, die Wahrheit in Deinem Sinne zu verdrehen! Willst Du mich nur durch rhetorische Kunstgriffe überreden, Deinen aberwitzigen Schlußfolgerungen zu glauben, oder wolltest Du mich tatsächlich mit Deinen Worten überzeugen?

Sokrates:

Dich wirklich überzeugen möchte ich gerne, wenn es denn bei mir stände.

Peter:

Wohl denn, so möchte ich Dir meine Position noch einmal erläutern. Das richtige technische Handeln hat nichts mit dem guten Handeln in Deinem moralischen Sinne zu tun. Richtig ist in diesem Fall, was effektiv ist, was funktioniert. Eine Maschine ist dann richtig konstruiert, mithin also gut (Du bemerkst die Doppelbedeutung?), wenn sie ihren Zweck erfüllt. Damit ich alles richtig mache, brauche ich die DIN-Vorschriften oder ziehe das Werk Dubbels zu Rate. Das hat nichts mit Werten zu tun, da es, sagen wir, an reinen physikalischen Gesichtspunkten orientiert ist und auch sein muß. Wenn ich also technisch schlecht handle, dann scheitere ich an der Realität, indem meine Bemühungen erfolglos bleiben. Zusätzliche Regeln sind daher nicht nötig, mithin also überflüssig.

Sokrates:

Ich sehe, Du hast eine sehr schöne Rede gehalten. Doch ich glaube, ich war ein wenig unaufmerksam; aus welchem Grunde, sagtest Du doch gleich, konstruierst Du Maschinen?

Peter:

Ich möchte eine Aufgabe erfüllen.

Sokrates:

Du meinst also, ein Problem lösen?

Peter:

Ja, und ich will die Funktionsweise verstehen.

Sokrates:

Du führst also zwei Gründe an. Wir wollen einmal sehen, wie das zusammenhängt. Ausgangspunkt ist wohl das Verstehen?

Peter:

Ja, die Grundlagenforschung.

Sokrates:

Du möchtest damit, allgemein formuliert, also Wissen erlangen?

Peter:

Ganz recht.

Sokrates:

Und das machst Du ohne jede Absicht und keinen Zweck verfolgend? Nur aus reinem Streben nach Erkenntnis versuchst Du, die Welt zu verstehen?

Peter:

Ja, eben das meine ich mit Grundlagenforschung.

Sokrates:

Doch weshalb tust Du dies? Gibt es eine Pflicht, Wissen über die Welt zu erwerben? Ein kategorischer Imperativ? Meinst Du das?

Peter:

Nein, keineswegs, von einer Pflichtenethik halte ich nichts.

Sokrates:

Wie das? Du hast keinen Grund dafür, Wissen zu erwerben?

Peter:

Doch, natürlich habe ich das. Die Menschen müssen versuchen, die Welt zu verstehen, damit sie überleben und im Idealfall sogar gut leben können. Man braucht Regeln dafür, was zu tun ist, damit man sich zum Beispiel die Nahrung beschaffen kann. Dank der Wissenschaft und des technischen Fortschritts gelingt dies alles viel besser, wie Du wohl zugeben wirst.

Sokrates:

Daran habe ich nicht gezweifelt. Du erwirbst also Wissen, um es schließlich anzuwenden.

Peter:

Ja, genau! Ich möchte wissen, wie ich zu handeln habe, damit Probleme möglichst gut gelöst werden können. Außerdem will ich erreichen, daß die Menschen angenehmer leben. Und der Fortschritt, den uns Wissenschaft und Technik gebracht haben, zeigen das doch eindeutig!

Sokrates:

So zeigt es sich nun, daß es in erster Linie um erfolgskontrolliertes Handeln geht. Dein Erkenntnisinteresse ist also gleich mit der vorhin von Dir zuerst genannten Begründung für Dein technisches Handeln: Du möchtest über die Natur technisch verfügen können. Das Verstehen hat nur den Zweck, später sinnvolle Angewendungen zu ermöglichen.

Peter:

Vollkommen richtig hast Du es aufgefaßt, Sokrates.

Sokrates:

Man will also immer nur das Verstehen, was man für ein bestimmtes Ziel braucht.

Peter:

Du fängst schon wieder an, die Dinge zu verdrehen! Man kann doch nicht a priori wissen, welches Ergebnis man mit der Forschung erhält! Aus diesem Grunde macht man sich ja gerade die Mühe des Forschens. So weiß man dann natürlich auch nicht, welche Aufgaben sich mit aus zukünftiger Forschung hervorgehenden Ergebnissen lösen ließen. Man muß vielmehr ohne festes Ziel in einem interessiernden fachlichen Bereich forschen und entdeckt dann Dinge, mit denen man gar nicht gerechnet hat, weil man mit ihnen auch gar nicht rechnen konnte. Die Grundlagenforschung ist nicht finalisiert.

Sokrates:

Ungereimtes, o Peter, unternimmst Du zu behaupten.Wenn Du etwas verloren hast, suchst Du nicht dort, wo Du es vermutest?

Peter:

Ich wohl.

Sokrates:

Und Du suchst auch genau das, was Du verloren hast und achtest weniger auf andere Dinge?

Peter:

Auch das.

Sokrates:

Und wenn Du nichts verloren hast, aber, sagen wir, auf Finderlohn aus bist und einmal auf Verdacht suchst, dann suchst Du doch weniger intensiv, weil Du kein genaues Ziel hast.

Peter:

Ja, ich denke, so wäre das wohl. Es wäre mir zu vage, nur eines möglichen Finderlohns wegen so beschwerlich umherzusuchen.

Sokrates:

Wie aber, wenn Du eine Lösung suchst? Dann gehst Du doch auch zielgerichtet vor, konzentrierst Dich auf Dein Problem und suchst in den Fachgebieten, in denen Dir ein Ergebnis am wahrscheinlichsten erscheint.

Peter:

Dies folgt hier freilich.

Sokrates:

Demnach ist die Grundlagenforschung doch zielbestimmt?

Peter:

Bei Deinen Vorraussetzungen, ja.

Sokrates:

Die haben sich notwendigerweise aus Deiner Rede ergeben. Doch eines möchte ich noch genauer hören: Wann immer wendest Du Dein so erworbenes Wissen an?

Peter:

Immer, wenn dies möglich ist. Eben deshalb habe ich mich ja, wie es sich eben gezeigt hat, darum bemüht.

Sokrates:

Das gebe ich auch gerne zu. Doch wann ist eine Anwendung möglich? Ist es in Deinem Sinne zu sagen, eine Anwendung ist immer dann möglich, wenn man es kann, also wenn man die technische Fähigkeit dazu hat?

Peter:

Ganz recht sprächest Du.

Sokrates:

Doch wenn man kann, mußman die Technik dann auch anwenden?

Peter:

Mich dünkt, dazu gibt es keine Pflicht.

Sokrates:

Und wenn man ein Medikament besitzt, muß man es da nicht dem Kranken verabreichen?

Peter:

Das sage ich freilich!

Sokrates:

Aus dem Können folgt also das Sollen? Ein technischer Imperativ, willst Du das sagen?

Peter:

So kommt es heraus; das hast Du sehr weise ausgedrückt.

Sokrates:

Mich dünkt, wir sollten diesen Satz an einem weiteren Beispiel prüfen. Ich glaube, allein, ohne Deine Hilfe, würde mir dies nicht gelingen. Könntest Du mir noch ein wenig Deiner Zeit opfern?

Peter:

Ja gerne, wenn es Dir denn hilft. Fang nur gleich damit an, da die Mittagsstunde bald verstrichen ist.

Sokrates:

O, Peter, ich weiß Deine Hilsfbereitschaft zu schätzen! Bei meinem Beispiel, ich nehme an, es wird Dir gefallen, denke ich an die Kraft der Atomkerne. Wie nutzt man sie doch gleich?

Peter:

Mich dünkt, ein gutes Verfahren, unsere Energiekrise zu bewältigen.

Sokrates:

Ja, ein wahres Wunderwerk der menschlichen Kontrolle über die Kräfte der Natur, wenn ich dagegen an die Anwendung der Bombe denke!

Peter:

Die hat uns vor einem Dritten Krieg bewahrt.

Sokrates:

Wie wohl? Indem man sie benutzt?

Peter:

Nein, keineswegs. Allein durch ihre Anwesendheit, durch Abschreckung.

Sokrates:

Wie fein. Man soll sie also nicht benutzen?

Peter:

Nur im Notfall, also zur Verteidigung in Notwehr.

Sokrates:

Folgt jetzt aus dem Können das Nicht-Sollen, oder habe ich Dich falsch verstanden?

Peter:

Abschreckung ist auch eine Anwendung.

Sokrates:

Aber es zeigt sich doch, daß nicht jede Anwendung erlaubt ist? Das Töten mit technischen Mitteln bleibt doch verboten, wenn ich Dich richtig verstanden habe.

Peter:

Ja, natürlich. Daran hatte ich eben nicht gleich gedacht.

Sokrates:

Man darf also nicht alles, was man kann?

Peter:

Ja, so erscheint es mir jetzt.

Sokrates:

Also brauchen wir doch Vorschriften darüber, was getan werden darf und was nicht. Wie könnte man diese wohl entwickeln? Meinst Du nicht auch, das gelänge durch Technikfolgenabschätzung, wie mich der Vortragende vorhin belehrte? Sie hilft uns, wenn wir etwas können, zu fragen, ob wir es auch sollen.

Peter:

Das hört sich vielleicht schön an, aber wenn ich es nicht tue, macht es doch immer ein anderer. Lieber behalte ich dann selbst die Kontrolle, bevor ein Anderer die Technik mißbraucht.

Sokrates:

Verwirrend, o Peter, scheinst Du mir zu reden. So wie Du sagtest, möchtest Du die Technik mißbrauchen, bevor dies ein Anderer macht. Dies hatten wir doch eben beschlossen auszuschließen.

Peter:

Wohl, das haben wir freilich. Ich hingegen meinte eben anders: Eine Technik wird in jedem Fall, auch ganz unabhängig von mir, entwickelt. Wenn ich jedoch etwas entdecke, kann ich versuchen, den Mißbrauch zu verhindern. Überlasse ich dagegen die Entdeckungen Anderen, dann ziehe ich mich aus der Verantwortung.

Sokrates:

Verstehe ich Dich so richtig? Die Anwendung einer Technik kann mit ethischen Werten gesteuert werden. Die Weiter- oder Neuentwicklung einer Technik geschieht aber immer zwangsläufig.

Peter:

Du tust ganz recht daran, so zu sagen, wie mich dünkt.

Sokrates:

Wenn das also so ist, läuft die technische Entwicklung zwangsläufig, wie ein Naturgesetz ab?

Peter:

Das eben behaupte ich!

Sokrates:

Technikentwicklung geschieht also einfach.

Peter:

So ist es demnach.

Sokrates:

Sie geschieht, angeleitet von einem, sagen wir, Dämon, der, wenn wir Pech haben, wie bei der Atombombe, geradezu bösartig ist. Du sprichst also vom Dämon der Wissenschaftsgeschichte, einem neuen Mythos?

Peter:

Wie kommst Du nur immer auf solch absurde Gedanken!

Sokrates:

Ist es Dir also doch lieber, Technikentwicklung als Menschenwerk anzusehen?

Peter:

Genau betrachtet, dünkt mich dies wohl so! Ich bin kein ausführendes Werkzeug irgendeines phantastischen Geistes.

Sokrates:

Also gut, Du trägst, wenn das richtig ist, was wir bisher sagten, Verantwortung für den technischen Fortschritt. Du kannst entscheiden, ob die Technik, die Du entwickelst, weiterentwickelt werden soll oder nicht und in welcher Richtung das zu geschehen hat.

Peter:

Ja, sicherlich.

Sokrates:

Es muß also nicht sein, daß eine Technik angewendet oder weiterentwickelt wird, nämlich dann nicht, wenn sich alle dagegen entscheiden.

Peter:

Es muß nicht, wird aber trotzdem.

Sokrates:

Weshalb? Sagten wir eben nicht anders?

Peter:

Es ist ein Nachteil für den Entwickler beziehungsweise seinen Auftraggeber, eine bereits vorhandene Technik nicht anzuwenden und zu verbessern. Andere würden diese Schwäche ausnutzen. Auch die Atombombe muß angewendet und verbessert werden, um ein Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten. Es ergibt sich somit ein Sachzwang, der trotz prinzipiellen Anwendungsverbotes, wegen der Möglichkeit des Notfalls eine technologische Weiterentwicklung erfordert. Die Weiterentwicklung an sich ist jedoch kein Mißbrauch, da über die Anwendung noch keine Entscheidung erfolgt. Die Atombombe ist nicht, wie Du sagtest, von einem bösartigen Dämon beseelt Sie ist einfach. Wir dürfen darüber unzufrieden sein, müssen aber, da sie nun einmal da ist, mit ihr leben.

Sokrates:

Du bist also doch gezwungen, jede Technik weiterzuentwickeln?

Peter:

Ganz recht.

Sokrates:

Wir haben also keinen Einfluß auf den Einsatz einer Technik, sondern diese erfordert sich selbst, ist also eine Art Selbstläufer?

Peter:

In gewisser Weise, ja.

Sokrates:

Mithin entwickelt die Technik nach deinen Worten eine ganz eigenständige Dynamik. Wäre dann nicht jegliches aufgeklärte Handeln des Menschen durch die Technik ersetzt?

Peter:

Dies möchte ich nur sehr ungern zugeben.

Sokrates:

Auch ich finde keinen Gefallen daran, die Technik als einen Dämonen zu sehen, der ohne uns zu fragen handelt. Sagen wir also, die Technikentwicklung kann von uns gesteuert werden.

Peter:

Das geht wohl aus allem hervor.

Sokrates:

So zeigt sich nun, daß man eine Technik, die in einem solchen Ausmaß wie die Atombombe mißbraucht werden kann, gar nicht erst entwickeln sollte. Verliert eine Technik nicht ihren Sinn, wenn ein Irrtum, sei es menschliches oder technisches Versagen, für alle tödliche Folgen haben kann?

Peter:

Das mag in diesem einfachen Extremfall wohl alles stimmen.

Sokrates:

Betrachten wir also wieder den allgemeinen Fall. Eine Technik kann auch negative Folgen haben, auch dann, wenn sie im erlaubten Sinne angewendet, also nicht mißbraucht wird.

Peter:

Das leugne ich nicht.

Sokrates:

Ist sie dann nicht schlecht für den, der unter diesen Folgen leidet?

Peter:

Ja, sie hat aber auch Vorteile, deshalb wurde sie ja angewendet.

Sokrates:

Ist es aber nicht sinnvoll, diese Vorteile gegenüber den Nachteilen abzuwägen?

Peter:

Zugegeben, ja.

Sokrates:

Und wer sollte dies Deiner Meinung nach tun?

Peter:

Der Entwickler, er kennt die Technik am besten.

Sokrates:

Welche Vor- und Nachteile kann er am besten erkennen? Sind das nicht die seines Fachgebietes?

Peter:

Ja.

Sokrates:

Er wird also die Maschine hinsichtlich ihrer Effektivität und ihrer Funktion beurteilen können.

Peter:

Ja, genau.

Sokrates:

Gibt es negative Folgen einer Maschine nur hinsichtlich ihrer Funktion, also der Erfüllung ihrer Aufgabe? Kann sie nicht auch Folgen in ganz anderen Bereichen haben, zum Beispiel der Gesundheit des Waldes?

Peter:

Das kann sie allerdings.

Sokrates:

Ist für dieses Gebiet der Entwickler auch ein Fachmann?

Peter:

Nein.

Sokrates:

Er kann die Folgen also nicht erkennen?

Peter:

Wohl nicht.

Sokrates:

Man bräuchte vielmehr einen Fachmann des Waldes und der Prozesse, die in diesem ablaufen.

Peter:

Ja.

Sokrates:

Und wie, wenn es noch andere Folgen gibt? Zum Beispiel die Gesundheit des Leibes?

Peter:

Dann bräuchte man einen Arzt.

Sokrates:

Um eine Technik hinsichtlich ihrer Folgen abzuschätzen, brauchen wir also Fachleute aus vielen Fachgebieten.

Peter:

So zeigt es sich nun.

Sokrates:

Wie würdest Du diese Vorgehensweise nennen? Etwa interdisziplinär?

Peter:

Ja, so würde ich sagen.

Sokrates:

Und sind nicht gerade auch die Anwender einer Technik, also Laien, von Nebenfolgen betroffen? Sollen sie nicht deshalb bestimmen, wie die von ihnen benutzte Technik auszusehen hat und in welche Richtung sie weiterzuentwickeln ist? Können sie nicht am besten sagen, welche Nachteile, die sie betreffen, schlimmer als andere und daher zuerst zu beseitigen sind?

Peter:

Ja, zugegeben.

Sokrates:

Diese Menschen bewerten also alle die möglichen Folgen einer Technik, denn es ist sicher sinnvoll, die Folgen schon vor der Anwendung zu beurteilen.

Peter:

Ja, aber die Nebenfolgen sind nie restlos vorhersehbar. Man bleibt bei einer reinen Spekulation.

Sokrates:

Hätte man nicht vorhersehen können, daß Luftschadstoffe dem Wald schaden?

Peter:

Doch, aber die genauen Ursache-Wirkungsbeziehungen sind nicht einmal jetzt genau wissenschaftlich geklärt.

Sokrates:

Aber eine Prospektion, eine Angabe von Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten, wäre doch möglich gewesen?

Peter:

Ja, so unpräzise gesehen schon.

Sokrates:

Und der "Club of Rome"?

Peter:

Ah, gut , sie haben ein mathematisches, wenn auch stark vereinfachtes Modell unserer gegenwärtigen Welt entworfen. Diese Methode, System Dynamics, wird noch heute erfolgreich angewendet.

Sokrates:

Also ein Mittel zur Prodiktion der Folgen von Technik.

Peter:

Du verstehst mich falsch, so wird es nicht eingesetzt.

Sokrates:

Aber der »Club of Rome« tat dies?

Peter:

Ja, aber die Ergebnisse sind veraltet.

Sokrates:

Aber nicht falsch?

Peter:

Nicht ganz jedenfalls.

Sokrates:

Eine Technikfolgenabschätzung ist demnach in Deinen Augen sinnvoll: Sie ist einerseits, wie wir zuerst sagten, notwendig, andererseits gibt es auch schon verwendbare Methoden.

Peter:

Das habe ich keineswegs behauptet!

Sokrates:

So schien es mir aber eben.

Peter:

Ich habe nur zugegeben, daß Voraussagen der Folgen einer Technikanwendung teilweise stimmen können, und daß ein Bedürfnis besteht, Voraussagen dieser Art zu machen, nicht aber, daß dies nützlich ist und dann auch geschehen sollte.

Sokrates:

Ich muß zugeben, ich kann Dir nicht folgen. Hälst Du es demnach für unnütz, die Folgen einer Technik zu kennen?

Peter:

Die positiven Folgen muß man natürlich kennen, da sie Voraussetzung für die Anwendung sind. Auch die direkt und unmittelbar wirkenden und leicht einsichtigen negativen Folgen einer Technologie muß man beachten, da sie eindeutig bestimmbar sind. Mir geht es jetzt vielmehr um die möglichen Nebenfolgen. Eine langwierige Suche nach irgendwelchen, eventuell in Erscheinung tretende Nebenfolgen ist nicht nur unnütz, sondern auch gefährlich. Nichts zu tun und nur über die Probleme, die mit der fraglichen Technik ja gelöst werden sollen, zu reden, ist auch eine Entscheidung. Und die kann noch schlimmere Folgen haben: Wenn man zu lange abwartet, kann es eben bereits zu spät sein. Ich behaupte also: Eine Technikfolgenabschätzung macht Angst vor der Handlung, sie lähmt. Sie ist das Zeichen des schwachen, niedrigen Menschen, des Menschen ohne Willen, der sich treiben läßt.
Ungeachtet dessen wird man nie eine Handlung gänzlich ohne negative Nebenwirkungen finden können. Das vage, mithin also scheinbare Wissen um Nebenfolgen verhindert notwendige Handlungen. Die Technologiefolgenabschätzung, so möchte ich meinen, verhindert jeglichen Fortschritt und ist damit eine Gefahr für unser Überleben. Denn auf Technik verzichten können wir nicht mehr.

Sokrates:

Ich sehe voller Bewunderung, welch großartige Rede Du gehalten hast. Zumal ich wieder einmal meiner einfältigen Unwissenheit bewußt geworden bin; muß ich Dir doch noch einige Fragen stellen, um zu versuchen, Deine weise Meinung zu verstehen.

Peter:

O, Sokrates, frage nur. Ich werde Dir gerne antworten, schließlich ereilen uns immer wieder diese arroganten Einwände der Städter, die Du, werter Sokrates, wohl nicht umhin konntest, auch kennengelernt zu haben. Da Du ein sehr verständiger Mensch bist, wird es mir ein Vergnügen sein, Dir meine Position zu erläutern, die nur allzu bereitwillig mißverstanden wird.

Sokrates:

Du sagst also, man soll nur die negativen Folgen einer Technik beachten, die man sofort erkennt. Alle Folgen jedoch, die man nur durch ausführliches Hinterfragen abschätzen kann, soll man nicht in eine Erwägung der Techniknutzung einbeziehen.

Peter:

Ja, so ist es. Andernfalls würde man sich in Einzelheiten verlieren und auf Handlungen verzichten.

Sokrates:

Du unterscheidest somit also zwei Arten von Technikfolgen?

Peter:

Ja.

Sokrates:

Zum einen der Beachtung notwendige Folgen, das sind die wichtigen Folgen, und ferner unwichtige Folgen.

Peter:

Ja, sicherlich.

Sokrates:

Folgen, die wegen ihrer Kompliziertheit nicht sofort erkannt werden, können die nicht auch wichtig und einschneidend sein?

Peter:

Ja, unter Umständen schon.

Sokrates:

Es ist doch im allgemeinen nicht sinnvoll, Wichtiges zu übergehen, auch wenn dies viel Arbeit kostet?

Peter:

Ja, da hast Du recht.

Sokrates:

Soll man nicht vor jeder Handlung über ihre Folgen nachdenken, um sich der Probleme bewußt zu werden?

Peter:

Das ist sicher richtig.

Sokrates:

Du stimmst doch mit mir darin überein, daß jeder Mensch für seine Handlungen auch die Verantwortung übernehmen soll.

Peter:

Selbstverständlich doch!

Sokrates:

Um verantwortlich Handeln zu können muß man doch um die Folgen wissen. Technikfolgenabschätzung ist dann verantwortliches Denken und ermöglicht erst verantwortliches Handeln.

Peter:

Du vergißt schon wieder, daß man nicht alle Folgen vorher kennen kann. Und daß man umgekehrt auch andere, also falsche Folgen erwartet, als dann tatsächlich eintreten. Gerade das wollte ich Dir vorhin verdeutlichen: Die Technikfolgenabschätzung schafft mehr neue Probleme als sie beseitigen kann. Man kann nie die Verantwortung für alle Folgen einer Technik haben.

Sokrates:

Wie das? Du meinst, der Entwickler hat nicht die Verantwortung für alle Folgen?

Peter:

Ja, genau.

Sokrates:

Das heißt also, der Anwender trägt in einigen Fällen die Verantwortung für die Technik.

Peter:

Ja, der Entwickler hat auf die Anwendung ja keinen Einfluß.

Sokrates:

Wenn nun aber der Anwender die Technik sachgemäß, das heißt nach den Anweisungen des Entwicklers, einsetzt, dann besteht dieser Einfluß doch? Den anderen Fall, nämlich den Mißbrauch, hatten wir, ich nehme an, Du erinnerst Dich, bereits ausgeschlossen.

Peter:

Freilich doch.

Sokrates:

In diesem Fall trägt der Anwender keine Verantwortung.

Peter:

Dem schließe ich mich gerne an.

Sokrates:

Es bleibt uns nun zu untersuchen, wer das Verantwortungssubjekt ist, da, wie eben gesagt, das Handlungssubjekt, das auch eine Gruppe oder eine Institution sein könnte, nicht in Betracht kommt.

Peter:

Ja gerne, laß uns dieses tun.

Sokrates:

Der Entwickler ist doch für die Qualität seines Produktes verantwortlich.

Peter:

Wie auch anders?

Sokrates:

Und um die Korrektheit seiner Geschäftsbeziehungen seinen Kunden, also den Anwendern, gegenüber muß er auch bemüht sein.

Peter:

Wie sollte er nicht?

Sokrates:

Außerdem hat er sich an produzentengruppeninterne Normen zur Aufrechterhaltung eines gewissen Standards zu halten.

Peter:

Du meinst zum Beispiel DIN-Normen oder VDI-Richtlinien?

Sokrates:

Ja, Du kennst Dich sicherlich in diesem Gebiet sehr gut aus. Diese Verantwortung nenne ich nun die interne Verantwortung des Produzenten. Diese gilt nicht, wenn bei einer Technik Nebenfolgen auftreten, die die Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe nicht begrenzen. Andererseits braucht eine etwas geänderte Anwendung eines Produktes noch kein Mißbrauch zu sein. In beiden Fällen treten Folgen ein, mit denen der Entwickler unter Umständen nicht rechnen konnte. Wenn dieser die Verantwortung nicht übernehmen soll, wer dann? Wollen wir eine Institution ausmachen?

Peter:

Warum nicht?

Sokrates:

Also die Technologiefolgenabschätzung prüft jede Technik und übernimmt als institutionalisiertes Subjekt die Verantwortung für alle Folgen.

Peter:

Das entlastet den Entwickler sehr.

Sokrates:

Du meinst, der Entwickler kann nun seine Hände ungerechter Weise in Unschuld waschen, da jegliche Folgen nicht mehr sein Problem sind?

Peter:

Richtig! Wiederum ein Einwand gegen die Technikfolgenabschätzung. Ich bin erstaunt, solches von Dir zu hören.

Sokrates:

Bleibt das Verantwortungssubjekt also das einzelne Individuum? Sagen wir, daß dieses auch noch jene eben definierte externe Verantwortung übernimmt?

Peter:

Ja, dem kann ich zustimmen.

Sokrates:

Ist es nicht hilfreich und nützlich, möglichst viel über das zu wissen, was man verantworten muß?

Peter:

Alles andere wäre leichtsinnig.

Sokrates:

Wir sagten zu Anfang, daß der Entwickler nicht alle Folgen mangels fachlichger Qualifikation selbst ergründen kann. Sollte er nicht gerne die beratende Hilfe einer Institution in Anspruch nehmen?

Peter:

So gesprochen offenbar ja.

Sokrates:

Sind wir nicht jetzt gemeinsam zu der überzeugenden Einsicht gekommen, daß wir die Technikfolgenabschätzung aus dreierlei Gründen befürworten: Sie ist notwendig, um die negativen Folgen zu begrenzen, hilft dem Entwickler, indem sie verantwortungsvolles Handeln ermöglicht und bedient sich wissenschaftlicher Methoden.

Peter:

Mir scheint, Sokrates, Du denkst wieder nur in den idealen Ausnahmefällen. Zugegeben besteht die Möglichkeit, daß eine Technologiefolgenabschätzung nach einer angemessen langen Bearbeitungszeit dem Entwickler grünes Licht und ein gutes Gewissen gibt und sogar noch recht behält. Doch viel häufiger werden die ängstlichen Bremser sein, die vor allem Neuen Angst haben, eben weil sich nicht alle Auswirkungen vorherbestimmen lassen. Aber gerade das ist charakteristisch für technische Entwicklungen: Sie sind neu, ungewohnt und nicht ganz kalkulierbar. Alles andere ist Technikentwicklung auf der Standspur. Somit steht Technikfolgenabschätzung schon aus prinzipiellen Gründen immer gegen Technik. Die Zeitverzögerung durch zu ausgiebige Folgendiskussion ist andererseits auch ethisch nicht vertretbar. Zum Beispiel muß in Notlagen gehandelt werden.

Sokrates:

Aus welchem Grund handelt man in Notlagen? Doch wohl, um die Situation zu verbessern?

Peter:

Notwendigerweise.

Sokrates:

Um das zu erreichen, muß man da nicht, wenigstens in groben Zügen, die Folgen abschätzen, um die Lage nicht doch noch zu verschlimmern?

Peter:

Offenbar ja. Doch viele Techniken lassen sich erst durch die Anwendung soweit entwickeln, daß sie vorhandene negative Folgen verlieren. Ein gutes Beispiel sind da Medikamente. Und andererseits ist es eine Pflicht, neue und bessere Medikamente zum Schutz von Menschenleben zu entwickeln und damit anfänglich auch nicht erwartete Nebenfolgen in Kauf zu nehmen.

Sokrates:

In welchen Fällen wird man negative Folgen von Medikamenten in Kauf nehmen? Doch wohl dann, wenn sie geringer als der erhoffte Heilerfolg sind.

Peter:

Das versteht sich.

Sokrates:

Oder auch, wenn man annimmt, die unerwarteten Nebenfolgen gerade durch die Weiterentwicklung der Medikamente beseitigen zu können.

Peter:

Dem stimme ich gerne zu.

Sokrates:

Man sollte also drauf achten, möglichst nur solche Folgen durch eine Technik zu erhalten, die wieder beseitigt werden können.

Peter:

Notwendig.

Sokrates:

Gerade weil nicht alle Folgen vorhersehbar sind, muß man verhindern, daß die Technik sich zu einem nicht mehr steuerbaren automatischen Prozeß entwickelt.

Peter:

Diesen lehnten wir ja bereits ab.

Sokrates:

Kennzeichnend für die Einführung einer neuen Technik muß also die Reversibilität dieses Vorgangs sein. Und um das zu prüfen, brauchen wir da nicht eine Technikfolgenabschätzung?

Peter:

Gewiß.

Sokrates:

So zeigt sich nun, daß wir die Technikfolgenabschätzung auch gerade deshalb brauchen, weil die negativen Folgen nicht exakt vorherbestimmbar sind.

Peter:

Wahrlich, das ergibt sich nun.

Sokrates:

Können wir nun im Sinne einer Projektion Ziele, Wege und einzuhaltende Randbedingungen für die künftige technische Entwicklung vorgeben?

Peter:

Du meinst, die Technologiefolgenabschätzung setzt Werte und neue Lebensziele.

Sokrates:

Ganz recht, in diesem Sinne habe ich gefragt.

Peter:

Wodurch wohl, o weiser Sokrates, solte die Technikfolgenabschätzung die Legitimation erhalten, Werte für die Gesellschaft zu setzen?

Sokrates:

Stimmst Du mir zu, daß unsere Lebensentwürfe von der uns zur Verfügung stehenden Technik mitbestimmt sind?

Peter:

Notwendig.

Sokrates:

Technik setzt also Werte.

Peter:

Ja sicherlich.

Sokrates:

Waren wir nicht übereingekommen, daß die Technologiefolgenabschätzung das geeignete Mittel ist, die Technikentwicklung zu steuern und nicht die Techniker allein?

Peter:

Das waren wir allerdings.

Sokrates:

Daraus folgt doch, daß Technologiefolgenabschätzung wertorientiert sein muß. Bietet sie doch auch als einzige die Möglichkeit, Technik wirkungsvoll zu steuern, da man ein System, wie Du sicherlich in der Kybernetik bereits erfahren hast, nur von außen steuern kann.

Peter:

Das hörte ich wohl.

Sokrates:

Auch macht das Nachdenken über Technik diese transparenter. Sie soll doch keine Geheimwissenschaft in Händen der jeweiligen technischen Experten sein, wie es früher die Magie einmal war.

Peter:

Keineswegs.

Sokrates:

Technologiefolgenabschätzung schafft also die Voraussetzung für eine offene, pluralistische Gesellschaft, die nicht nur an ihre Experten glaubt.

Peter:

Sondern an ihre Technikfolgenabschätzer?

Sokrates:

Sagten wir nicht bereits, daß auch die Meinung von Laien zu berücksichtigen sei?

Peter:

Wohl, es dünkt mich, so sagten wir. Doch allein, wie kann eine Gesellschaft pluralistisch sein, die ihre Werte von der Technologiefolgenabschätzung vorgesetzt bekommt, sei der Kompromiß auch unter Berücksichtigung noch so vieler Meinungen zustande gekommen.

Sokrates:

Zurecht bringst Du Deinen Einwand, haben wir doch etwas wichtiges vergessen.

Peter:

Wohlan, laß es mich hören!

Sokrates:

Sprachen wir bisher nicht immer von der Technik?

Peter:

Wie meinst Du?

Sokrates:

Hätten wir nicht auch von den Techniken reden können?

Peter:

Ah, Du wirst etwas klarer.

Sokrates:

Gibt es nicht immer mehrere Möglichkeiten, ein Problem technisch zu lösen?

Peter:

Dem ist so.

Sokrates:

Man kann also Alternativen entwickeln.

Peter:

Ja, und die Beste auswählen.

Sokrates:

Ein Entwickler muß doch den Interessen des Unternehmens dienen, in dem er arbeitet?

Peter:

Mich wenigstens dünkt es so.

Sokrates:

In einer Firma, die Automobile herstellt, ist doch die beste Alternative die, die die meisten und effektivsten Verbesserungen an den Fahrzeugen bewirkt.

Peter:

Wie könnt es anders sein?

Sokrates:

Eine Technik, die außerhalb der Branche liegt, in dem das Unternehmen arbeitet, ist doch schlechter, weil für die Firma uninteressant?

Peter:

So kann man sagen.

Sokrates:

Die Eisenbahn könnte doch, im Sinne der Allgemeinheit, die bessere Alternative sein?

Peter:

Denkbar.

Sokrates:

Und wie, wenn es andere Arten von Personenbeförderungssystemen bereits als Idee gibt, die aber von keinem Unternehmen verwirklicht werden, da eine Umstellung des Produktionsverfahrens zu teuer oder auch kaum durchführbar wäre? Sind große Konzerne nicht träge, dafür aber marktmächtig?

Peter:

Das läßt sich nicht leugnen. Doch eine gute Idee setzt sich früher oder später immer durch, da sie ja in Konkurrenz zum alten System Vorteile hat.

Sokrates:

Doch wie, wenn die Hürde der Einstiegsinvestitionen zu hoch liegt? Oder eine Änderung auch politische Unterstützung bräuchte? Ist es nicht vielmehr so, daß die Technikfolgenabschätzung, gerade weil sie außerhalb des Systems Technik steht, Alternativen qualifizierter, da unabhängiger auswählen und sogar gezielt neue Alternativen schaffen kann, da durch sie erst das Problembewußtsein aufgekommen ist?

Peter:

Doch wird letztendlich die Abhängigkeit von der Volkswirtschaft bleiben. Du kannst nicht das Automobil einfach abschaffen, denn mit den Produzenten werden auch die Zulieferer und dann das ganze Land zugrunde gehen.

Sokrates:

Wie das? Schon wieder ein Sachzwang? Sollte man sich vielleicht etwas mehr Zeit lassen, wenn man schon, wie Du vorschlägst, das Automobil ganz abschaffen will?

Peter:

O, Sokrates, Du legst mir wieder einmal Dinge in den Mund, die ich so nie gesagt habe, nur damit Du umso deutlicher recht behalten kannst. Doch, da meine Mittagszeit leider bereits verstrichen ist, gönne ich Dir diese kleine Freude gerne.

Sokrates:

Auch ich habe bereits lange genug hier oben verweilt. Es ist auch für mich an der Zeit, zu etwas anderem zu schreiten. Sofern du möchtest, können wir sicherlich ein andermal voll Eifers das Unterste zuoberst kehren, weiß ich doch noch immer nicht, ob wir Menschen die Technik oder diese und leitet.

Verfaßt anno domini 1990

Wir danken folgenden Autoren für Ihre Unterstützung zur Entstehung dieser Arbeit:

Platon [Übersetzung: Friedrich Schleiermacher]:
Protagoras
Gorgias
Politeia

Hans Sachsse:
Ethische Probleme des technischen Fortschritts.
In: Hans Lenk; Günter Ropohl (Hg.): Technik und Ethik. Reclam-Verlag, Stuttgart 1987

Walter Ch. Zimmerli:
Wandelt sich die Verantwortung mit dem technischen Wandel?
In: Hans Lenk; Günter Ropohl (Hg.): Technik und Ethik. Reclam-Verlag, Stuttgart 1987

Lewis Mumford:
Mythos der Maschine.
Fischer Verlag, Frankfurt 1977

Harald Wersich:
Angepaßte Technik – Antworten auf die Probleme der Mono- und Megatechnik?
In: Arbeitsgruppe für angepaßte Technologie (AGAT): Technik für Menschen. Fischer Verlag, Frankfurt 1982